AK Armut der Liga der Wohlfahrtspflege: Jobcenter beschneidet unrechtmäßig Existenzminimum
Wer Arbeitslosengeld II, das sogenannte Hartz IV, bekommt, erhält als Alleinstehender einen Regelbedarf von 399 Euro pro Monat. Hiervon muss er alles bis auf die Unterkunftskosten bestreiten: Essen, Kleider, Ersatzbeschaffungen, Reparaturen oder Strom. Daneben gibt das Jobcenter unter bestimmten Voraussetzungen Darlehen, beispielsweise für Mietkautionen. Diese Darlehen werden zurückgezahlt, indem monatlich 10 Prozent vom Regelbedarf einbehalten werden. So steht es im Gesetz. Beim Stuttgarter Jobcenter ist es allerdings üblich, bei mehreren Darlehen insgesamt bis zu 30 Prozent abzuziehen. Das widerspricht dem geltenden Recht. Davon ist der AK Armut der Liga der Wohlfahrtspflege überzeugt, der Zusammenschluss der fünf großen Wohlfahrtsverbände in Stuttgart sowie der großen kirchlichen Religionsgemeinschaften. Jahrelange Versuche sozialer Fachkräfte, beim Jobcenter eine Lösung des Problems zu erreichen, haben nicht gefruchtet. Deshalb ist der AK Armut jetzt an die Öffentlichkeit gegangen.
Rechtsprechung der Gerichte ist eindeutig
Martin Steinbrenner berät bei der Evangelischen Gesellschaft (eva) Kollegen in Rechtsfragen und vermittelt zwischen Behörden und Leistungsberechtigten. Das Jobcenter Stuttgart hat ihm vor etwa drei Jahren bestätigt, dass es bei Darlehen bis zu dreißig Prozent des Regelbedarfs einbehält – prinzipiell, nicht nur im Einzelfall. Das Problem wurde seitdem immer wieder in Gremien, Mailwechseln und persönlichen Gesprächen mit dem Jobcenter thematisiert. „Dabei sind sowohl der Wortlaut des Gesetzes wie auch die Rechtsprechung der Gerichte eindeutig: die Gesamtsumme der Tilgungsraten darf 10 Prozent des jeweiligen Regelbedarfs nicht übersteigen“, erklärt Rechtsanwalt Alexander Barauke von der Kanzlei BLK.
Doch das Jobcenter Stuttgart zieht bis heute bis zu 30 Prozent der Bezüge ab. Außer, die Betroffenen widersprechen: Allein im Jahr 2014 hätten sich mehrere Betroffene erfolgreich per Widerspruch gewehrt, berichtet Steinbrenner. Zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung lässt es das Jobcenter Stuttgart dabei meist nicht kommen. Vor etwa einem Jahr gab es eine Ausnahme: Damals sollte Herr K. aus Stuttgart für drei Darlehen 30 Prozent Abzug von seinen Hartz IV-Bezügen erhalten, berichtet Barauke. Der Rechtsanwalt hat Herrn K. damals vor Gericht vertreten.
Sozialgerichtliche Entscheidung in Stuttgart bisher verhindert
Als Herr K. das Sozialgericht angerufen hat, kam vom Jobcenter Stuttgart ein Vergleichsvorschlag. Darin wurde die Darlehens-Tilgung auf 10 Prozent des Regelbedarfs beschränkt. Das Gericht musste deshalb nicht mehr entscheiden. Damit hat das Jobcenter eine sozialgerichtliche Entscheidung in Stuttgart verhindert.
Interessanterweise hat das Jobcenter in seinem Vergleichsvorschlag selbst einen Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Februar 2014 aufgegriffen. Danach ist „die maximale Aufrechnung beim Vorliegen mehrerer Darlehen auf 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt,… um dem Betroffenen ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu belassen.“
"Die Kürzungssumme schließt ein menschenwürdiges Dasein aus"
„Doch in vielen anderen Fällen entscheidet das Jobcenter anders. Unsere Argumente haben bisher kein Gehör gefunden“, sagt Angela Riße, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen und Sprecherin des AK Armut der Liga. „Das Jobcenter ist eine Behörde der Landeshauptstadt Stuttgart. Deshalb ist jetzt die Lokalpolitik gefragt.“ – „Für ALG II-Empfänger mit ihren 399 Euro Regelbedarf sind schon 39,90 Euro weniger im Monat schwer zu verkraften“, ergänzt Martin Steinbrenner. „Die doppelte oder dreifache Kürzungssumme schließt ein menschenwürdiges Dasein aus."