Hartz IV-Bezüge werden zur Rückzahlung von Darlehen nicht mehr unrechtmäßig gekürzt - Nach Öffentlichkeitsarbeit der Liga der freien Wohlfahrtspflege Stuttgart hat die Bundesagentur für Arbeit ihre fachlichen Hinweise geändert
Stuttgart.Seit Januar 2016 wird Bedürftigen, die Hartz IV beziehen und vom Jobcenter Stuttgart ein Darlehen erhalten haben, nur noch 10 Prozent des Regelbedarfs abgezogen, um dieses Darlehen zu tilgen. Das hat der AK Armut der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Stuttgart jetzt erfahren. Zuvor wurden vom Jobcenter bis zu 30 Prozent des Regelbedarfs einbehalten. Anfang September 2015 war die Liga an die Öffentlichkeit gegangen, um auf die Praxis des Jobcenters aufmerksam zu machen. Diese widersprach dem geltenden Recht – davon waren die Vertreter der Liga überzeugt, in der die fünf großen Wohlfahrtsverbände in Stuttgart sowie die großen kirchlichen Religionsgemeinschaften zusammengeschlossen sind. Jahrelange Versuche sozialer Fachkräfte, beim Jobcenter eine Lösung des Problems zu erreichen, hatten zuvor nicht gefruchtet. Die Berichterstattung hat bundesweit Wellen geschlagen und dazu geführt, dass die Bundesagentur für Arbeit ihre fachlichen Hinweise geändert hat.
Wer Arbeitslosengeld II, das sogenannte Hartz IV, bekommt, erhält als Alleinstehender einen Regelbedarf von 404 Euro pro Monat. Hiervon muss er alles bis auf die Unterkunftskosten bestreiten: Essen, Kleider, Ersatzbeschaffungen, Reparaturen oder Strom. Daneben gibt das Jobcenter unter bestimmten Voraussetzungen Darlehen, beispielsweise für Mietkautionen. Diese Darlehen werden zurückgezahlt, indem monatlich 10 Prozent vom Regelbedarf einbehalten werden. So steht es im Gesetz. Beim Stuttgarter Jobcenter war es allerdings jahrelang üblich, bei mehreren Darlehen insgesamt bis zu 30 Prozent abzuziehen.
Nachdem die Liga im September 2015 an die Medien gegangen war, hatten verschiedene lokale sowie landesweite Medien über den Missstand berichtet. Auch bundesweite Medien hatten das Thema aufgegriffen. Im Wirtschaftsausschuss der Landeshauptstadt wurde die Praxis des Jobcenters gerügt. In einer Besprechung am 19. November 2015 haben sich dann Referenten von Bund und Ländern darauf verständigt, die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu ändern. Nun gilt bundesweit, dass die Gesamtsumme der Tilgungsraten 10 Prozent des jeweiligen Regelbedarfs nicht übersteigen darf. Nach Informationen der Liga wird das allerdings noch nicht von allen Jobcentern in der Region Stuttgart umgesetzt.
„Hätten sich die Jobcenter als Exekutive an die gesetzlichen Vorgaben der Legislative gehalten, wäre eine unnötige Verschärfung der Lage vieler Leistungsempfänger vermieden worden, die ohnehin prekär ist“, erklärt Martin Steinbrenner, der bei der Evangelischen Gesellschaft (eva) Kollegen in Rechtsfragen berät und zwischen Behörden und Leistungsberechtigten vermittelt. Er hatte in den vergangenen Jahren immer wieder erfolgreich für Betroffene der Aufrechnungspraxis widersprochen.
„Die Liga ist froh, dass das Jobcenter rechtzeitig eingelenkt hat. Damit hat es den Betroffenen aufwändige rechtliche Auseinandersetzungen erspart. Wunsch der Liga wäre, dass das Jobcenter sein Verwaltungshandeln künftig schneller an die Rechtsprechung anpasst. Gut wäre, wenn es sich dafür auch gegenüber weisungsgebenden Stellen stark macht, zum Beispiel bei der Bundesagentur für Arbeit. Denn Arbeitslosengeld-Bezieher sind auf jeden Euro angewiesen. Umso schlimmer, wenn er ihnen unrechtmäßig abgezogen wird“, sagt Angela Riße, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen und Sprecherin des AK Armut der Liga. „Wir hoffen sehr, dass die Praxis, Mehrfach-Darlehen zurückzuzahlen, auch in den Kommunen um Stuttgart herum sehr bald auf zehn Prozent begrenzt wird.“