20 Jahre Besuchsdienst „Vierte Lebensphase“, zehn Jahre „Seniorentelefon Dreiklang“ – Anlass genug, sich einem Thema zu widmen, das bei diesen beiden und weiteren Angeboten der ambulanten Hilfen für ältere Menschen der eva immer wieder eine große Rolle spielt: Einsamkeit. Am 18. Oktober ging es bei einem Fachnachmittag im Haus der Diakonie darum, wo und wie sich Einsamkeit zeigt und was Einsamkeit überhaupt ist.
„Einsamkeit ist ein subjektiver Zustand, ein Gefühl des Mangels an hinreichend positiver sozialer Einbindung“, erklärte Janosch Schobin, Soziologe von der Universität Kassel. Er forscht zum Thema und hat allerlei nationale und internationale Statistiken zum Thema zusammengetragen und dafür auch Gespräche in verschiedenen Ländern geführt. Einsamkeit ist nicht gleichbedeutend mit Alleinsein. Alleine zu sein, das ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil: „In vielen Fällen wird Alleinsein hochgradig geschätzt und als starkes Privileg wahrgenommen.“ Wenige, wertvolle, qualitativ gute Beziehungen reichen, um sich glücklich und eingebunden zu fühlen – gar eine, die eine wichtige. Es lässt sich also sagen: Wir haben heute, besonders in reichen Gesellschaften, weniger Kontakte, sind mehr alleine, doch die Einsamkeit nimmt deshalb keineswegs zu.
Doch was, wenn diese wenigen, tragenden Kontakte wegbrechen? Bis der eine, ganz besondere Mensch geht oder stirbt, bis zunehmend mehr geliebte, geschätzte Bezugspersonen verloren gehen? „Der Mensch altert, die Gesellschaft altert, immer mehr Menschen sind von Vereinsamung bedroht“, so der Soziologe. „Wir leben in Sorge vor der Vereinsamung. Die ist berechtigt.“ Und, auch wenn in Deutschland die Einsamkeit statistisch nicht zugenommen hat, auch die im Alter nicht: „Ab um die 70 Jahre steigt das Gefühl, einsam zu sein, wieder an“, so der Soziologe.
Deutung mit Wirkung
Hierzulande nun wird Einsamkeit primär negativ gedeutet. Als „Ausgeschlossen-Gefühl“ hat es einer von Schobins Interviewten bezeichnet. Einsamkeit, so der Soziologe, wird als degradierend empfunden, als Zustand, der Autonomie nimmt und ein Gefühl der Ohnmacht erzeugt. In Lateinamerika ist das nach Schobins Recherchen ganz anders. Dort werde Einsamkeit primär positiv gedeutet, poetisch, religiös beschrieben. „Einsamkeit, das könnten einige Blumen in der Wüste sein“, sagte etwa eine dazu befragte Chilenin. Ja, auch in Lateinamerika ist Einsamkeit schlimm, wird aber als zeitlich begrenzt angesehen, als etwas, dem beizukommen ist und das stärker macht. Als etwas, das im sozialen Kontext stattfindet. Wogegen in Deutschland Einsamkeit sozial exkludiert – sie wird mit sich selbst ausgemacht, der einsame Mensch zieht sich zurück und schweigt.
Handelnd Haltung zeigen
Dass sich Einsame schwertun, ihre Gefühle zu benennen, sich dazu zu bekennen, beobachtet Katharina Roos, Pfarrerin der Petrusgemeinde in Stuttgart-Gablenberg immer wieder. Zufällig kommt die Einsamkeit mitunter zur Sprache, wenn es einen anderen Anlass zum Gespräch gibt. Auch Helmuth Beutel, Psychotherapeut und einst eva-Vorstand, weiß, wie sehr mit Scham besetzt die Einsamkeit daherkommt, wie viel Trauer und Wut sie oft auslöst. „Umso tiefer in die Psyche eingegraben, umso handlungsunfähiger werden die Menschen.“ Wichtig, den Weg hinauszufinden. Wobei es hilft, wenn andere handelnd Haltung zeigen – und Angebote machen. Wenn sie wahrnehmen. Dabei helfen, Worte zu finden und weiterzumachen mit dem, was Sinn stiftet im jeweiligen Leben, Freude macht, guttut.
„Einsamkeit ist keine Krankheit“, so Janosch Schobin. „Sie ist eine Anpassung an die Umwelt, eine sinnvolle, logische Reaktion auf eine Erfahrung. Die Frage ist: Wie geht die Gesellschaft damit um?“ (lako)